Dienstag, 9. Juni 2015

Garstige Snippetse

"Du kannst dich umziehen, wenn du möchtest. Nimm den Anhänger mit und versteck ihn gut. Ich gehe  noch etwas vorbereiten, aber ich bin bald wieder da. Beeil dich bitte." Ohne sie anzusehen sprach Levin diese Worte über ihren Kopf hinweg und wandte sich um, um zu gehen, doch Emily hob die  Hand und fasste ihn am Arm. Levin erstarrte.
"Was ist?" Ohne den Kopf zu drehen, fragte er sie mit einer  seltsam belegten Stimme. Seine Muskeln waren angespannt, Emily konnte es fühlen.  Im Licht der aufgehenden Sonne zeichneten  die Muskeln seiner Arme sich, weiche Schatten werfend, ab. Sie schüttelte  unwillkürlich den Kopf, um ihre Gedanken zu ordnen.

***

"Wo bringst du mich hin?", fragte sie ihn zögerlich.
"Komm", war Levins einzige Erwiderung, bevor er sich umdrehte und die Wohnungstür öffnete.
Emily biss sich auf die Unterlippe und verkniff es sich, etwas zu sagen. Sie war zu gespannt darauf, zu  erfahren, wohin Levin sie bringen würde. Würde er sie in ein Geheimversteck bringen? Eine Höhle  irgendwo? Ein verlassenes Haus? Oder würde er sie sogar aus der Stadt heraus fahren? Sie musste an ihre Mutter denken. Vivian lag im Krankenhaus, nichts von dem ahnend, was vor sich ging. Emily würde sie nicht einmal besuchen können, wenn sie jetzt verschwand. Aber wenn ihre Mutter dadurch in Sicherheit  wäre, wäre es wohl das Beste so.
Sie stieg in ihre grünen Doc Martens, ohne sie zuzuschnüren. Im Hinausgehen griff sie sich ihren Schlüssel von der Kommode im Flur und stopfte ihn hastig in ihre Hosentasche. Sie verließ die Wohnung, zog die Tür hinter sich zu und wollte gerade abschließen, als Levin ihr  Handgelenk griff.
"Lass das lieber. Sie werden die Wohnung sowieso durchsuchen. Besser ist es, wenn sie  ohne Probleme einbrechen können, als wenn sie die Tür aufsprengen." Das sah Emily ein, doch es  beunruhigte sie sehr.  Alles, was ihre Mutter und sie noch besaßen, nachdem sie umgezogen waren,  befand sich in dieser Wohnung. Immerhin besaßen sie kaum etwas Wertvolles. Ihren Schmuck, ihr  Tafelsilber und andere Wertgegenstände hatte ihre Mutter längst verkauft, nachdem ihr Vater  verschwunden war. Bei dem Gedanken an ihren Vater zog sich ihr Magen zusammen und sie verkrampfte sich. Schnell versuchte sie den Gedanken zu verdrängen und ging hinter Levin die Treppe  hinunter und durch die Haustür hinaus. Es war ein angenehmer Morgen, ohne Wolken am Himmel und die Temperatur wies darauf hin, dass es ein sehr heißer Tag werden würde. Hoffentlich würden sie sich nicht zu viel in der Sonne aufhalten. Emily bekam mit ihrer blassen Haut sehr schnell Sonnenbrand. Ein kurzer  Blick zur Seite auf Levins gebräunte Haut versicherte ihr, dass er dieses Problem nicht hatte.
Levins blauer Lieferwagen stand vor der Tür und Emily wollte gerade darauf zusteuern, als Levin den Kopf schüttelte.
"Wir müssen zu Fuß gehen. Das ist weniger auffällig."

***

Ohne etwas zu sagen wendete sich Emily also um und  begann in Richtung Strand zu gehen. Immer noch tat ihr Fuß beim Gehen weh, aber sie konnte  mittlerweile auftreten und sie wollte nicht wieder von Levin getragen werden. Doch sie kamen nur langsam voran und schon nach ein paar Dutzend Metern schmerzte Emilys Fuß fast unerträglich.
"Was ist los?" Levin war vor ihr stehen geblieben und musterte ihr schmerzverzerrtes Gesicht besorgt.  Emily lief wieder rot an. Sie wollte ihre Schwäche nicht zugeben, aber selbst wenn sie es schaffen würde,  mit diesen Schmerzen noch weiter zu gehen, würden sie für den Fußweg von wenigen Minuten fast eine  Stunde brauchen. Also überwand sie sich "Mein Fuß. Er schmerzt fürchterlich." Levin schien ihren  umgeknickten Fuß schon vergessen zu haben, denn er sah sie für einen Moment verständnislos an. Dann  fing er an zu lachen und schüttelte sachte den Kopf.
"Ich dachte schon, du hättest Ares oder noch etwas  Schlimmeres irgendwo gesehen. Na los, spring auf!“, sagte er zu ihr, drehte sich um und ging leicht in die  Hocke. Emily zögerte, doch Levin warf ihr einen ermunternden Blick über die Schulter zu und Emily riss  sich zusammen. Sie sprang auf Levins Rücken, legte ihre Hände um seinen Hals und er griff ihre Beine. 
"Halt dich gut fest", sagte er schelmisch und rannte los.