Montag, 7. Mai 2012

Stalking ist strafbar!


Unterwegs nach unten hielt der Aufzug zweimal an und ein paar  Patienten und Pfleger stiegen ein und aus, und musterten sie, wie sie da stand, mit ihrem zerrissenen  Hemd, die Haare zerzaust, nur notdürftig zusammengebunden und Sand und Zweige immer noch überall  sichtbar.
Sie hasste es sowieso, wenn die Leute sie anstarrten, doch in dieser Verfassung und auf so engem Raum  war ihr dabei noch unwohler als sonst. Also war sie froh, als sie unten ankam. Ein schneller Blick rundum  und durch die Glastüren nach draußen genügte ihr um sicherzustellen, dass kein Levin und kein blauer  Lieferwagen irgendwo auf sie warteten. So schnell sie konnte humpelte Emily also nach draußen und um  die nächste Ecke. Mit einem erneuten Blick auf den zum Glück gut ausgeleuchteten Parkplatz versicherte  sie sich, dass immer noch kein blauer Lieferwagen da war und dann humpelte sie in die Fußgängerzone  zwischen der Reihenhaussiedlung neben dem Krankenhaus.  Von dort aus wählte sie auch weiterhin  Wege, die möglichst die Straßen auf dem Weg zwischen dem Krankenhaus und ihrem Zuhause vermieden.
Als sie schließlich ankam war sie erleichtert, dass niemand vor ihrem Haus wartete und kämpfte sich mit  ihren Krücken so gut es ging die Treppe zu ihrer Wohnung hoch. Emily öffnete die Tür, betrat die  Wohnung und schloss die Tür mit einem Krückenstoß. Danach stellte sie die geliehenen Gehhilfen neben der Tür ab und humpelte in ihr Zimmer, um ihre dreckige  Kleidung abzulegen. Sie setzte sich auf ihr Bett und zog ihr Flannellhemd und den Rest ihrer Kleidung aus  und zog sich ihren Schlafanzug, bestehend aus einem schwarzen Trägertop und einer Boxershorts, an.  Dann schleppte sie sich ins Bad, um ihre Haare zu kämmen, ihr Gesicht zu waschen und  ihre Zähne zu putzen.
Gerade war sie damit fertig, die Zweige und den Sand aus ihren Haaren zu kämmen, als eine mittlerweile  allzu bekannte Stimme zu ihr sagte: "Wow, du hast es alleine bis hierher geschafft und hast noch die Kraft,  dich um deine Haare zu kümmern?" Levin lachte unbekümmert, aber Emilys Herz setzte ein paar Schläge  aus. Wie kam er hier herein? Wie lange war er schon da? Und warum überhaupt?
"Du hast die Tür offen gelassen. Sehr nachlässig von dir, aber durchaus praktisch für mich. Als ich zum  Krankenhaus zurückkam, warst du nicht mehr da und da bin ich hierher zurückgefahren. In dieser  Verfassung und mit diesem Kerl, der vermutlich immer noch hinter dir her ist, konnte ich dich nicht alleine  lassen. Was hast du dir dabei gedacht alleine durch die dunklen Straßen zu humpeln? Bist du  lebensmüde?" Daran hatte Emily gar nicht gedacht. Sie war so beschäftigt mit der Sorge um ihre Mutter  und mit der Hoffnung endlich alleine zu sein, um ihre Gedanken zu ordnen, dass sie den Fleischklops ganz  vergessen hatte. Aber trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass mehr hinter der ganzen Sache steckte  als bloße Fürsorge. Sie war sich sicher, die Tür geschlossen zu haben, als  sie die Wohnung betreten hatte.
"Ich glaube dir nicht. Ich traue dir kein bisschen und ich will, dass du jetzt gehst", sagte sie betont ruhig zu  ihm und sah ihm dabei fest in die Augen. Doch Levin lächelte nur spöttisch und schüttelte den Kopf.
"Ich  werde dich nicht alleine lassen, Emily." Und die Art, wie er ihren Namen aussprach, zum ersten Mal, wie  ihr bewusst wurde, war so ungewohnt und gleichzeitig vertraut, als würde sie ihn schon ewig und nicht  erst seit einem Tag kennen.  Fast hätte sie nachgegeben, schließlich könnte der Fleischklops sie verfolgt  haben und hier auftauchen…aber dann fiel ihr etwas auf, das sie davon abhielt, Levin zu vertrauen. Sie  hatte ihm ihren Namen gar nicht genannt.

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